Nach drei Monaten des Umherreisens zählen wir uns als Langzeitreisende. Meistens unterliegen diese anderen Kriterien als den Jahresurlauber oder gar Wochenendreisenden. Das fängt beim Budget an und hört bei den gewonnen Eindrücken auf.
Warum der Langzeitreisenden anders wahrnimmt, als der Urlauber und warum sein Bewusstsein dadurch nachhaltig verändert wird.
Langzeitreisende haben meist ein kleineres Budget zur Verfügung, mit dem sie ihren Trip gestalten. Im Gegensatz zum Jahresurlauber, der in zwei, drei Wochen sein gespartes Geld zur bestmöglichen Gestaltung seiner Zeit alles auf den Kopf haut, versucht der Langzeitreisende mit eben möglichst wenig Ausgaben, so weit wie möglich zu kommen und entsprechend lange zu bleiben oder unterwegs zu sein.
Unsere Ausgaben verteilen sich in absteigender Reihenfolge auf folgende Bedürfnisse: 1. Nahrung
2. Unterkunft
3. Ersatzteile
4. Kommunikation
5. alternative Fortbewegungsmittel
1. Nahrung
Wenn man jeden Tag mindestens 8 Stunden Fahrrad fährt, braucht man ein gutes Frühstück, ein bis zwei Snacks zwischendurch wie Früchte und Müsliriegel, ein gutes Abendessen und auf jeden Fall viel Flüssigkeit.
In Kroatien, Montenegro und Albanien, die wir in den Sommermonaten bereist haben, verbrauchten wir am Tag mindestens 4 Liter Flüssigkeit pro Mann. Bei Tagestemperaturen von bis zu 38° C ist das lebensnotwendig.
Wir haben öfters versucht diesen Temperaturen aus dem Weg zu gehen, indem wir gegen 5:00 Uhr aufstanden und bei Sonnenaufgang losfuhren. Drei Stunden später frühstückten und mittags lange Siesta hielten, um dann nachmittags weiterzufahren.
Das Problem hierbei ist leider nur, dass man seinen verlorenen Schlaf leider nicht wirklich nachholen kann und nach einigen Malen man vor Ermüdung nicht mehr weiter kann. Wir konnten auf jeden Fall diesen Rhythmus nicht aufrechterhalten.
Also haben wir uns an die Hitze und Sonne gewöhnt.
Ein großer Hut hilft dagegen wirklich Wunder. Möglichst sehr dünne Funktionskleidung, damit der Körper durch den schnell abtransportierenden Schweiß gut gekühlt wird.
Andere Radfahrer empfehlen lässige, große Baumwollhemden und Hosen. Diese Empfehlung kann ich leider nicht teilen. Für Spazierfahrten vielleicht, aber bei Hitze und Bergfahrten mit bis zu 15 % Steigung nicht zu verwenden ...
Und immer wieder im Schatten pausieren. Bis zu zwanzig mal am Tag.
Abends versuchen wir unsere verloren gegangen Kalorien mit kohlenhydratreichen Lebensmitteln auszugleichen. Was leider in nicht jedem Land wirklich gelingt ... Ab Kroatien fällt es uns schwer, in den Sommermonaten selbst zu kochen.
Die ganze Region hier und südlich davon leidet unter extremer Dürre und die Waldbrandgefahr ist äußerst hoch.
Auf den Campingplätzen ist das Kochen mit offener Flamme eigentlich verboten. Leider stellen nur eine Handvoll Plätze Küchen zur Verfügung.
Dabei wäre es ein Leichtes dieses kostengünstig umzusetzen!
Haferflocken sind nur wenig abwechslungsreich. Brot ist günstig und überall zu bekommen, aber auf die Dauer nur schwer zu ertragen. Salate müssen mit Käse oder Bohnen versehen werden, damit man ausreichend Proteine bekommt. Fleisch ist also ein seltener Gast. Frischer Fisch ist Mangelware.
Das Mittelmeer ist bereits leergefischt. Als wir letztmalig 2010 in Kroatien waren, gab es noch überall gegrillten Fisch und fangfrischer Fisch. Wenn auch sehr wenig. Diese Zeiten sind leider vorbei und wir sind nach wie vor geschockt, wie sich die Region verändert hat … Dazu folgt noch ein extra Blogpost!
Dosenware ist teuer und auch nur ein Notbehelf. Also nehmen wir jede Gelegenheit war, bei der sich ein bezahlbarer Snack finden lässt. Nur in Süddalmatien, im südlichsten Zipfel Kroatien waren die Preise für Lebensmittel entspannt.
In Montenegro haben wir landestypische Küche gesucht, aber nicht gefunden …
Alles orientiert sich hier, wie auch in Albanien an tourismusgerechter Nahrung a la Pommes und Pressfleischnuggets.
Außer Obst und Literflaschen Bier ist alles doch recht teuer.
In Albanien gemäßigte Preise und in den Restaurants ein Gericht bis zu 10,- €. Dafür sind die Portionen aber extrem klein.
Hier aber endlich wieder mal landestypische Gerichte wie Eintopf oder Suppen, die meistens nur auf der Karte existieren. In Südalbanien orientiert man sich an Griechenland. Moussaka und Co sind gut und preiswert.
Fisch auf den Karten der Restaurants sind meist tiefgefroren. Hier also auch Abzocke.
Also in Sommermonaten fällt die Selbstversorgung extrem schwer. Gute Nahrung ist für den Reiseradler eigentlich extrem wichtig. Das hält Leib und Seele zusammen.
Seit unserer Abfahrt vor über drei Monaten habe ich stark an Gewicht verloren, was klar war, durch die täglich Bewegung. Aber das es so schwer werden würde, die täglich verbrannten Kalorien wieder zu bekommen, habe ich nicht erwartet. Eine echte Lösung ist noch nicht in Sicht. Eine längere Pause wäre vielleicht eine Möglichkeit ...
Flüssigkeit wie Wasser, Säfte und Limonaden sind zu bekommen. Manchmal aber besser für die nächsten 60 km zu bevorraten. Trinkwasser gibt es nicht überall und wir schämen uns dafür, zahlreiche Plastikflaschen erstanden zu haben.
2. Unterkunft
Meistens haben wir auf Campingplätzen übernachtet.
Schöne Wildcampingplätze haben wir nur selten gefunden.
Jeden Monat haben wir uns einmal ein Hotelzimmer gegönnt.
Die teuersten Campingplätze waren in Kroatien.
Bis zu 34,- € für den Platz für zwei Personen.
In der Hauptsaison liegt der Preis an der Küste fast überall um die 30,- €.
Wie unverschämt dieser Preis ist, wird erst deutlich, wenn man den schlechten Zustand der Sanitäranlagen und den Platz selber betrachtet. Mir ist es bis heute ein Rätsel, warum so viele Tschechen, Polen, Holländer und Kroaten diesen Preis für mehrere Wochen zahlen.
In Montenegro etwas günstiger und in Albanien bis zu 15,- € für einen Platz nah am Strand.
Ein Schlauch als Dusche und ein Loch im Boden als Toilette. Auch hier unfassbare Plätze, die von zahlreichen Italienern und Albanern bevölkert wurden. Wir sind nachhaltig geschockt.
Erst die letzte Nacht im Süden von Albanien haben wir einen Campingplatz gefunden, bei dem wir mit Eiskaffee begrüßt wurden und der alles zu bieten hatte, was wir uns in den Monaten vorher in Deutschland, Österreich, Slowenien, Kroatien und Montenegro gewünscht hätten. Ein ruhiges Plätzchen mit Bank und Tisch. Zahlreiche Steckdosen. Eine Küche komplett eingerichtet. Abwasch mit Heißwasser und Spülmittel. Durchdachte Duschen mit ausreichend Platz und Haken. Toiletten, auf denen man sich wohl fühlt. Besitzer die sich um einen kümmern und die sogar Waschpulver für die Waschmaschine kostenlos anbieten und bei denen man willkommen ist. 15,- € haben wir hier gerne gezahlt.
Wild campen ist uns schwergefallen, denn Tagestouren von 10 Stunden bei bis zu 40° C und pralle Sonne verlangen nach zumindest einem Bad im Fluss, Meer oder besser einer Dusche.
Auch ist das Auffinden von sicheren, ruhigen Wildcampingspots in der Hauptsaison eher schwierig. Das betrifft auf jeden Fall die Küste.
Im Hinterland in den Bergen schon eher möglich. Wir hatten auf jeden Fall nicht das Glück solche Plätze einfach zu finden.
Teilweise nahm die Suche nach einem geeigneten Platz schon mehr Anstrengungen in Kauf als das eigentliche Fahrradfahren.
Dazu muss man wissen, das man nur wirklich entspannt wild campen kann, wenn man wirklich einen Platz findet, wo man nicht entdeckt wird und man nicht beim Aufsuchen gesehen wird.
3. Ersatzteile
Ein Teil unseres Budgets ist leider für Ersatzteile draufgegangen.
100 Tage Fahrradfahren auf Asphalt, löchrigen Straßen, Waldwegen, Schotter und Geröll fordern ihren Tribut.
Ein neuer Brookssattel war die Krönung. Was aber notwendig und sinnvoll war!
Auch eine neue Bremsanlage nach unzählbaren Höhenmetern unabdingbar!
Leider hatte sich meine Magura HS 11 verabschiedet. Totalausfall durch Bremsflüssigkeitsverlust bzw. Undichtigkeit. Beide gleichzeitig und wem auch immer sei Dank nicht auf einem Bergpass … Was hätte ich getan, wenn auf 1300 Metern dieser Ausfall passiert wäre?
Einen Tag lang das Fahrrad herab schieben? Nicht vorzustellen!
Bin im höchsten Maße enttäuscht von Magura! Zumindest von der HS11!!
Jetzt also wieder die guten, alten V-Brakes.
Gestohlene Powerbank, u.s.w. …
4. Kommunikation
Nicht zu unterschätzen, ist ein ausreichendes Guthaben seiner Prepaid – Simkarte.
Obwohl ein Großteil der Karten offline auf Mapsme, Naviki uns Komoot zur Verfügung standen, braucht man leider immer wieder Internet.
Internetcafes sind so gut wie ausgestorben … Freies und vor allen Dingen funktionierendes WLAN Mangelware … Also plant noch mal 15,- bis 20,- € extra im Monat für euer Smartphone ein, um geeignete Übernachtung, Sightseeing und Einkaufsmöglichkeiten sowie weiterführende alternative Transportmittel zu finden.
5. Alternative Fortbewegungsmittel
Nicht zu unterschätzen sind alternative Fortbewegungsmittel.
Oftmals erkennt man wirklich erst an Ort und Stelle, das man den Fluss oder diese oder jenen Küstenabschnitt nur per Fähre oder Boot überqueren kann.
Und das kostet natürlich Geld, weil man sich nicht dafür entscheidet 100 km bergauf zurückzufahren. Gerade, wenn man einen engen zeitlichen Rahmen hat.
Auch eine notfalls weitere Überbrückung via Zug oder Flugzeug muss eingeplant werden.
Insgesamt haben wir in den letzten 100 Tagen versucht so wenig wie möglich Geld auszugeben, ohne dabei den Spaß und die Freude am Unterwegssein zu verlieren. Soweit wir überhaupt davon sprechen können, wirkliche Freude zu empfinden, nachdem wir so ein schreckliches letztes Jahr durchlebt haben.
Die Anstrengungen und das ewig Neue helfen zwar dabei, etwas Abstand zu gewinnen, doch holt einen die erlebte Realität ständig ein. Es gibt gute sowie schlechte Tage ganz unabhängig davon, was man im Moment erlebt …
Durch unseren Versuch mit möglichst geringen Ausgaben unterwegs zu sein und durch unsere Fortbewegung an sich, ergibt sich ein ganz anderes Kennenlernen des Landes.
Ein Beispiel: In Albanien trafen wir einen Camper, der mit seinem zum Wohnmobil umgebauten LKW unterwegs war. Und nicht zum ersten Mal. Nach Austausch gewöhnlicher Alltagsgeplänkel kam ich auf die zahllosen obdachlosen Roma zu sprechen, die wir unter Brücken, an Bahngleisen und etwas abseits der Vordereingänge der Supermärkte und Geschäfte trafen und der bettelnden, aggressiven Kinder, die uns hinterherliefen und versuchten uns mit Gewalt zu stoppen. Mein Gegenüber behauptete bisher noch nichts davon gesehen zu haben.
Ich war sprachlos. Für ihn waren eher die steigenden Benzinpreise interessant.
In Kroatien trafen wir Urlauber, die angeblich keinen Müll herumliegen sahen. Dabei ist wirklich jedes Fleckchen mit Plastik, Windeln und sonstigen Müll übersät.
Mit dem Rad ist man wirklich hautnah dabei. Und das ist auch gut so. Wir können überall halten und kommen fast überall hin. Aus dem Auto heraus kann man kein Land kennenlernen. Jedenfalls nur seine Vorstellung davon. Und durch unser eher geringes Budget, welches leider doch fast um das doppelte höher lag als geplant, sind wir natürlich einer anderen Bevölkerungsschicht solidarisiert. Unser Augenmerk liegt eher abseits der touristischen, abgepferchten Pfade. Abseits der Spasshochburgen liegt das wirkliche, wahre Leben.
Dort kämpft man um das tägliche Brot, sammelt Müll und Pfandflaschen. Versucht mit seinem kleinen Gemüsegarten über die Runden zu kommen … Läuft zu Fuß über die Landstraße, weil man sich weder Führerschein noch Auto leisten kann …
Eine andere Wahrnehmung bedeutet ein anderes Bewusstsein und ein anderes Bewusstsein bedeutet eine andere Wahrnehmung.
Warum fällt eine objektive Wahrnehmung nur so unglaublich schwer?
Weil ich dafür die Komfortzone verlassen muss.
Und die wenigsten sind dazu bereit.
Auch wir reihen uns in einem gewissen Sinn in diesen schrecklichen Tourismus ein. Wenn auch in abgeschwächter, geringerer Form. Und dennoch …
Abschließend bleibt zu sagen: Eine Reise verändert einen Menschen.
Zumindest sollte sie das.
Der Reisende sollte das Leben aufsaugen. Land und Leute versuchen kennenzulernen.
Wer einfach nur schaut, sieht nichts!
Der Mensch ist kein starrer Charakter. Wir alle sind im Wandel, wie unsere Erde auch.
Wir sollten unser Bewusstsein erweitern, um eine breitere Wahrnehmung zu erreichen. Und wer mehr wahrnimmt, versteht mehr. Lebt bewusster mit sich und im Einklang mit seiner Umgebung. Nur aus diesem Tenor heraus können wir langfristig unserem Leben einen Sinn geben, es erhalten und für unsere Nachfahren lebenswert machen.
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